Kinder der Sonne

Jahrelang ging das nun schon so. Immer wieder rieten ihm Stimmen zu diesem letzten Schritt. Stimmen, die häßlicher nicht sein konnten, herrschender, machtvoller. Ob sein Wecker wohl noch funktionierte? Er legte die Sonntagszeitung weg, ging ins Badezimmer, öffnete das Fenster, kniff die Augen zusammen, warf etwas hinaus. Es war hell und heiß. Wie immer. Er würde ihn nicht mehr brauchen. Er öffnete die Riemen, nahm die Schellen ab. Seine Fußfesseln scheuerten auf dem rohen Fleisch. Er wusch sich, sah sich das dunkelrot verfärbte Wasser an, wie es im Ausguß verrann, verließ das Badezimmer und fragte den Aufseher nach frischem Verbandsmull. Zum Abendessen gab es Stofftiere in den unterschiedlichsten Ausführungen. Er verschlang sie mit wildem Haß, wie jeden Freitag. Diesmal gab es Diddl zum Dessert. Der Speisesaal war so überfüllt, daß die Stofftiere stehend auf ihren Tod warten mußten. Aber sie hatten es ja nicht anders verdient. Man gab ihm das verabredete Zeichen. Er schritt durch die langen Gänge, nahm den ihm entgegengehaltenen Gegenstand entgegen und verbarg ihn unter seinem Hut. Endlich, dachte er. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern. Diese Hitze, diese Qual. Seine Augen brannten. Heute hatte er Spüldienst. Die Sonne schien ihm ins Gesicht, die ganzen zwei Tage lang. Schade, er hatte Samstag den Haferbrei verpaßt. Zu Hause angekommen stellte er fest, daß er nichts mehr anhatte. Der Hut lag auf dem Fernseher. Der Gegenstand lag noch darunter, daß wußte er. Er war in Alufolie eingepackt gewesen, er freute sich schon auf den Anblick. Ihm war warm. Seit sieben Wochen schien die Sonne ununterbrochen, seine Haut war mittlerweile fast vollständig verbrannt, überall verbunden. Aber seine Zeit war nah. Morgen war Freizeittag für seine Kommune. Er legte sich schlafen, doch es war zu warm und hell. Schließlich setzte er sich den präparierten Hut auf und ging zur Tanzhalle. Tausende seiner geklonten Brüder, etwa ein Drittel der Kommune, waren schon vor ihm da, hatten dieselben Probleme. Schade, dachte er, daß man zu Hause niemanden kennenlernen konnte. Überall nur Standard, man selbst. Da war er. Das Oberhaupt. Ihn zu beseitigen galt es. Seinen Platz einnehmen. Eine Wohnung mit Dach. Den Unterschied merkte Dank moderner Gentechnik niemand. Er hatte lange warten müssen. Jetzt schritt er durch die Spiegelreihen, seinem Ziel entgegen. Den Hut zum Gruß abnehmen, schnell den Gegenstand entnehmen. Blind hatte er ihn im Hut ausgepackt, fühlte das Metall, sein Ziel einige Schritte vor ihm. Er hob den Hut wieder, entnahm den Gegenstand und benutzte ihn. Der laut heulende Wecker in seiner Hand zeigte 22:00. Der Schweiß tropfte auf den Boden vor ihm. Zeit fürs Frühstück.


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