Hope2

2. Umzug

Am nächsten Tag ging es ihm nicht viel besser, aber er wußte, daß er nicht noch länger warten konnte. Er hatte sich seine besten Sachen angezogen, alles zusammengesucht, was er noch gebrauchen könnte, und verschüttete jetzt gerade Unmengen von synthetischem Alkohol in der Wohnung. Er zündete sich eine Zigarette an, bückte sich und entzündete den Alkohol. Er stand noch einige Minuten dort, regungslos, obwohl mittlerweile der Sauerstoff knapp wurde, seine Augen tränten und seine Hose bald Feuer fangen würde. Er stand einfach so da, minutenlang. Keine Regung, auch nicht im Gesicht. Schließlich rann eine Träne über seine rechte Wange, er drehte sich um und verließ seine Wohnung recht flotten Schrittes. Auf dem Gang traf er seine direkte Nachbarin, eine ältere Dame, die immer gut auf ihre Nachbarn aufpaßte. Sie fuchtelte wild mit den Armen herum, schrie irgend etwas in Ash‘s Richtung. Dieser jedoch bemerkte sie überhaupt nicht richtig, er ging geistesabwesend und gleichgültig nur wenige Zentimeter an ihr vorbei zum Treppenhaus. Auch hier traf er einige Minuten später auf andere Leute, doch da Ash stur die Treppen herunterging wurde er nicht weiter beachtet. Draußen angekommen setzte er sich seinen Mundschutz auf und ging zur U-Bahn herunter, ohne sich auch nur einmal zum brennenden Haus umzublicken. Er stieg in die erstbeste Bahn ein, setzte sich auf den letzten freien Platz in seinem Abteil, wobei er offensichtlich einem jungen Mann den Platz vor der Nase wegschnappte, der sich gerade zu seinen drei Kumpeln setzen wollte. Die vier schienen einer Bande anzugehören, aber Ash kannte sich mit so etwas nicht so gut aus. Er war nicht vertraut mit ihren Zeichen, er interessierte sich aber auch gar nicht für sie. Er wollte einfach nur sitzen. Und er wollte einem dieser arroganten jungen Gangster den Platz wegnehmen. Dieser lachte nur, schlug dem vor ihm sitzenden Ash gegen die Schläfe und lachte noch lauter. Ashs rechter Nachbar zog ein Messer und fuchtelte damit herum. Seine Gegenüber grinsten und sahen aus, als säßen sie im Kino.
„Mach schon“, sagte der eindeutig vollgepumpte Junge rechts von ihm, „hau ab.“
„Hätte ich nicht so einen Kater, dann würd‘ ich dir jetzt eine in die Fresse hauen“, brachte Ash recht leise heraus, woraufhin er das Messer spürte, wie es in sein Fleisch glitt, aber von einer Rippe aufgehalten wurde. Er ächzte und wollte reagieren, doch da schlugen schon die anderen drei auf ihn ein. Er fiel zu Boden, konnte sich nicht mehr wehren, doch die Schmerzen bemerkte er eigentlich nicht so stark, daß es für ihn eine Qual war. Er ließ sich eben einfach zusammenschlagen.
„FoulJ, sieh, ob er Moos bei hat.“
„Mach selbst, Arsch. Bin ich jetzt der Privatklon vom großen Smash? Penner“, sagte einer, den Ash als seinen Sitznachbarn erkannte, da er eindeutig derjenige von den Vieren war, der am stärksten vollgepumpt war.
„Ey, halt‘n ma‘ richtig fest an‘ne Beine, BlowJ“, sagte der am ältesten klingende. „Hey, Penner, hörst du mich noch?“ War er gemeint, dachte Ash? „Mein Name ist XMaster, merk dir das. Schade, daß du keine ID bei dir hast. Das zeigt mir, daß du ein kleiner besoffener Straßenpenner bist, aber danke für die paar Mäuse. Vielleicht treffen wir uns mal wieder.“ Und etwas leiser „wenn wir dann alleine sind, dann laß ich dich erst durch und schlachte dich dann.“ Und dann urinierten sie auf ihn. Ash fiel auf, daß er außer den Stimmen der vier Gangster keine anderen Stimmen hörte, nur das gleichmäßige Summen der U-Bahn.
Er stieg aus, als er sein Nasenbluten fast gestoppt hatte. Er achtete nicht darauf, welche Haltestelle es war, ging einfach die Treppen herauf und wurde von dem kalten Neonlicht geblendet. Er schwitzte stark und ärgerte sich etwas, daß er keine Wäsche zum Wechseln mitgenommen hatte und das er jetzt kein Geld mehr hatte. Ein Soldat kam ihm entgegen, blickte ihn schon von weitem mürrisch an und konnte sich wohl einen Kommentar nicht verkneifen.
„Blute hier nicht alles voll, du Penner. Zeig mal deine Fahrkarte.“
„Sitze ich etwa in der Bahn, he?“ antwortete Ash lapidar, ohne wirklich stehenzubleiben. Er verlangsamte nur seinen Schritt, der Soldat jedoch hielt ihn nun mit seinem Stick auf. „Du bist gerade erst ausgestiegen. Außerdem hast du die Bahn vollgeblutet. Sachbeschädigung.“ Der Soldat, dem, wie Ash jetzt auffiel, das rechte Auge fehlte, strahlte über das ganze Gesicht. Ein Machthungriger, dachte Ash. Er hatte Verständnis.
„Macht 12 Tex. Plus 2 Tex für die Lüge gerade. Das Gesetz sagt, man darf Personen öffentlichen Rechts nicht anlügen. Aber sag schon, davon hast du keine große Ahnung, was?“ Ash antwortete immer noch nicht, er starrte den Soldaten nur an.
„Wenn du kein Geld hast, kommst du ins Arbeitslager. Da willst du doch nicht hin, oder?“ sagte der immer breiter grinsende Soldat, ohne seine Drohung wirklich ernst zu meinen. Er beugte sich dabei vor, um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen, was er aber sofort bereute. Der Geruch des vermeintlichen Penners widerte ihn an und steigerte seine Verachtung noch mehr.
„Meine Güte, du stinkst, als ob du in einem Müllager geschlafen hättest und die Ratten auf dich gepißt hätten.“
Wie recht er hatte, dachte Ash, der nun die etwas einseitige Unterhaltung endlich zu einem Ende bringen wollte. Den Soldaten überraschte die schnelle Bewegung seines Gegenübers, noch bevor er von einem Schlag im Gesicht getroffen zu Boden fiel. „Ein schlechter Tag für einen Umzug.“

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