Salzige Heringe
II. Die Wiedervereinigung und das vereinigte Deutschland
Die Ossis und die Besserwessis kennen wir nun, aber eins vergaß ich, nein, zwei Dinge sogar. Ein anderer Zivi, der aus dem Osten stammt, erzählte mir, daß seine Lehrer nach der Wende nicht wußten, was sie ihren Schülern nun erzählen sollten. Alles sei vorher politisch gewesen, alle Lehrer seien überzeugte Sozialisten gewesen. Aber wir Wessis waren ja auch nicht besser. Wir errichteten riesige Fernsehtürme in Berlin und in Grenznähe, damit möglichst viele Ostdeutsche unser Westfernsehen (übrigens kennt sogar die Rechtschreibprüfung der Textverarbeitung, mit der ich gerade arbeite, das Wort ‚Westfernsehen‘) empfangen konnten. Es war ihnen zwar verboten, viele taten es trotzdem. Die meisten. Diese trafen nach dem Urlaub auch meist auf durchwühlte Wohnungen. Die Stasi war echt cool.
Privatfernsehen. Nein, nicht privates Fernsehen. Privatfernsehen. So heißt eine Sendung von und mit Friedrich Küppersbusch. An der Uni Dortmund Journalismus studiert (heute Numerus Clausus von 1,2), dann selbständige Arbeit für den WDR. ‚ZAK‘ auf dem Dritten, dann in der ARD. Damals noch kein Kabelfernsehen, zumindest ich noch nicht. Damals haben wir doch tatsächlich nur ARD, ZDF und WDR sehen können, über Antenne versteht sich. Später auch Sat.1 und RTL. In einigen Jahren wird man sich das nicht mehr vorstellen können, man kann es vielleicht heute schon nicht mehr. Und wir kommen uns zurückgeblieben vor, da die Amis Hunderte von Programmen haben. Wir nur 31, in etwa. Seit etwa einem Jahr macht Küppersbusch, ein perfekter Sprachkünstler und couragierter Moderator, eine Sendung namens Privatfernsehen. Den Titel ließ er übrigens durch das damalige ZAK-Publikum bestimmen. Es hat sich auch nicht wirklich geändert, da er selbst die Show ist, nicht seine Sendung. Jetzt in jeder Sendung ein oder zwei Gäste, oft Politiker, die er unter den Tisch redet. Gute Einschaltquoten. Trotzdem hat ihn die ARD abgesetzt, er läuft nur noch auf WDR. Ziemlich aufgeregt hat er sich darüber, berechtigterweise. Auf jeden Fall war in einer Sendung letztens ein Bericht über das Wiedervereinigte Berlin und über Tunnel. Die Tunnel nämlich, die unsere neuen Regierungsgebäude miteinander verbinden werden. Das größte Tunnelsystem der Welt. Man hat sich überlegt, die Regierungsgebäude in die Stadt zu integrieren und die Sicherheit so niedrig wie möglich zu schrauben. Weg mit der Bannmeile, zumindest eingeschränkt. Deshalb wird alles Regierungs-Interne durch eben diese Tunnel laufen. Im Bericht ging es vorwiegend um die Namensgebung. Jeder Teilabschnitt eines jeden Tunnels bekommt einen Namen. Meist sind es Frauen von Politikern, die solch eine Taufe vornehmen dürfen, die Wichtigkeit des Politikers bestimmt die Größe, Länge und Bedeutung des Tunnels. Die größten drei Abschnitte in Berlin heißen demnach Hannelore I bis III. Man kann ja nicht gerade behaupten, Helmut Kohl sei kein wichtiger Mann. Doktor Helmut Kohl, auch wenn nur die wenigsten es wissen und man es ihm bestimmt nicht ansieht. Wenn Kohl nächstes Jahr wiedergewählt wird, dann war er zwanzig Jahre Kanzler! Wolfgang Schäuble, unser Super-Rolli, ist zwar seit Jahren Kronprinz, wollte schon in dieser Legislaturperiode erben, doch Kohl hielt daran fest, auch für die gesamte nächste Periode zu kandidieren. Schäuble soll 2002 folgen. Diese Äußerung sorgte übrigens für sehr viel Furore, da man bisher annahm, Kanzlerkandidaten und Kanzler würden gewählt, und nicht von Kohl bestimmt. Kohl ist unbeliebt, wird aber trotzdem der amtsälteste Kanzler unserer Geschichte bleiben. Er hat auch 1998 wieder gute Chancen, da die SPD nur noch blockiert, nicht mehr handelt. Diese hat so wie so seit Jahren keinen überzeugenden Kanzler-Kandidaten geliefert. Kohl hat aber auch einiges erreicht. Europäische Einigung, auch wenn Deutschland diese größtenteils bezahlt, und schließlich die Einheit. Zum Teufel, in welchem Jahr war der Tag der deutschen Einheit, 1989 oder 1990? Ich weiß, daß es der dritte Oktober ist, da es ein Feiertag ist, aber beim Jahr bin ich mir nicht so sicher. Traurig. Wenn ich das nicht weiß, dann werden es sicherlich nicht gerade viele Bundesdeutsche wissen. Und das sagt einiges aus. Es wird noch einiges dauern, bis Ost und West zusammengewachsen ist. Schließlich liegen die Unterschiede ja nicht nur in unterschiedlichen Löhnen, Preisen, Renten. Nicht nur in der Architektur, der Raumplanung. Nicht nur in der Erziehung, vor allem der politischen und sozialen. Beide Seiten haben das Gefühl, die Ossis müßten aufholen. In vielerlei Hinsicht müssen wir das aber. Deutschland ist das Hinterletzte, fast so schlimm wie die Vereinigten Staaten. Wir sollten uns mal realistisch betrachten. Immer mehr Leute haben immer mehr Geld. Toll. Aber noch viel mehr Leute haben immer weniger Geld. Der Anteil der Bevölkerung unter der Armutsgrenze steigt stetig, in den USA ist er noch höher als bei uns. Wie hoch der Anteil ist? Im Promille-Bereich. Sollte man meinen. In der Tat sind es weit über zehn Prozent der Deutschen, mehr, als es Arbeitslose gibt. Das heißt nicht nur, daß es viele Sozialhilfe- Bedürftige gibt, d.h. auch, daß viele unter der Armutsgrenze leben, obwohl sie noch Arbeit haben. Toll. Über 16% Arbeitslose in Dortmund, etwa 80000 Sozialhilfe-Empfänger. Alleine in Dortmund. Aber man merkt es nicht, solange es nicht einen selbst betrifft. Phänomenal. Toll. Das heißt doch, daß es egal ist, so lange man nicht selbst arbeitslos wird. Toll. Was soll das? Ticken wir alle nicht mehr richtig? Ist uns denn nicht klar, daß nur noch wenige arbeiten. Viel mehr Leute sind Rentner, Schüler, Studenten, Arbeitslose, Kinder, Schwarzarbeiter. Na gut, der Anteil der Kinder und Jugendlichen nimmt ab, die Geburtenzahlen fallen, liegen unter den Sterbezahlen. Dafür haben wir aber mittlerweile massig Rentner, von Jahr zu Jahr mehr. Die Renten ruinieren unseren Staatshaushalt, die Renten, die Arbeitslosenhilfe und die Schulden. Aber: wie werden die Reichen noch reicher? Auf den Schulden reitet der Schuldner zum Erfolg, oder wie hieß der Spruch. Das gilt vor allem bei höherer Inflation. Und damit wären wir beim nächsten Kapitel.