Salzige Heringe
IV. Lady Dianas Tod und andere Späße und Banalitäten
Traurig. Nicht die Ereignisse – obwohl, die manchmal auch –, sondern die Art, wie über einige Geschehnisse unserer Zeit berichtet wird. Lady Di, Soldat Hinze, der Belgier Marc Dutroux oder was auch immer. Niemand ist hundertprozentig objektiv, die Presse aber schafft es in letzter Zeit zusehends, durch an bestimmten markanten Dingen aufgehangene Meldungen nicht nur das Publikum kurzfristig zu interessieren, langfristig wird unsere Gesellschaft abgestumpft. Nur noch Sensationsreportagen, Sex and crime, Mallorca-Sendungen, schockierende Photos, moralisch höchst bedenkliche Fotografen und Reporter, Mainstream-Reportagen. Anspruchslosigkeit. „Die Reportage“, „Die Reporter“, „Akte 97/43“, alleine heute. Titten, Gewalt und Verbrechen. Seit Jahren, vor allem in den letzten Monaten, immer mehr Boulevard-Sendungen in Fernsehen. Nicht mein Fall.
Der 20-jährige Bundeswehr-Soldat Matthias Hinze wurde vor etwa zwei Monaten entführt. Er war täglich, genauer gesagt minütlich in den Nachrichten. Ich mein, ist okay. Als man die Entführer faßte und Hinze immer noch verschwunden war wurde Panik verbreitet; als Hinze schließlich tot gefunden wurde, wurde weiter berichtet. Und die ganze Zeit über, in wirklich jedem Bericht über Hinze, wurde darauf hingewiesen, Hinze sei bei der Bundeswehr. Nur, weil er einer von Tausenden und aber Tausenden Wehrpflichtigen war, war er etwas besonderes. Jeder Fernsehsender, fast jede Tageszeitung, sogar seriöse Magazine zogen sich daran auf, machten den Wehrdienst zu etwas göttlichem; der Mord an einem Wehrdienstleistenden ein Sakrileg. Mein Gott, ich möchte auch zur Bundeswehr. Zu den Helden. Warum habe ich bloß den Dienst an der Waffe verweigert? Scheiß auf Moral. Einmal Gott sein.
Apropos. Der Richter, der den Belgier Dutroux verurteilt hat muß sich auch wie Gott gefühlt haben. Ein Vollstrecker der gesamten (zivilisierten, d.h. TV-ausgestatteten) Welt. Jetzt endlich, Monate später, gibt es endlich auch mal einen Witz über das Thema, wenn auch einen sarkastischen – siehe Abbildung. Was hat er getan, fragen jetzt vielleicht einige. Nein, das war rhetorisch. Jeder weiß, was Dutroux mehreren kleinen Mädchen angetan hat. Wochenlang wurden mehrere Mädchen vermißt, von Dutzenden von Polizisten gesucht, später, nachdem man auf Dutroux aufmerksam wurde, Hunderte. Er hatte sie nicht nur vergewaltigt, er hatte sie auch umgebracht. Auf diese Weise wurde er in ganz Europa bekannt, in ganz Europa verachtet und geächtet. Demonstrationen forderten zu harter Bestrafung und anderem auf, überall gingen Menschen auf die Straßen. So ein Schwachsinn. Als ob damit den Familien der Mädchen geholfen würde, ganz zu schweigen von den Mädchen selbst. Ich hätte Demonstrationen nach einem Freispruch verstanden, aber das Urteil war in Ordnung. Auch die Kidnapper des Soldaten Hinze werden wohl nicht wieder die Gefängnistore in Richtung Rußland verlassen, ob sie jetzt die russische Mafia hinter sich haben oder nicht. Da fällt mir doch plötzlich der Bombenanschlag auf das Empire-State-Building vor etwa drei Jahren ein. Da fallen mir noch mehr Sachen ein. Wer sie lesen möchte, muß sich bis zum Kapitel VII gedulden. Seltsam, denken Sie vielleicht, daß ich Straftaten, Kriege, Unglücke nicht geschlossen in einem Kapitel behandele. Aber, Sie glauben es nicht, das hat sogar einen Grund. Hier schreibe ich alles schwachsinnige, paradoxe, im Kapitel VII alles, was mit unserer heutigen Gesellschaft und dessen Fehlern zu tun hat, im Kapitel VI kommen schließlich die Geschehnisse dran, die durch unseren technischen Fortschritt begründet sind. Das erwähne ich eigentlich nur (vielleicht wird es Ihnen bereits langweilig), weil mir bei der Aufteilung etwas aufgefallen ist. Was? Hätten Sie schon selbst drauf kommen können. Ist es nicht auffällig, daß man (fast?) all solche Geschehnisse in diese drei Bereiche einteilen kann? Es gibt keine normalen Unglücke mehr! Ist das nicht erschreckend? Fair? Nicht witzig? Es gibt keine normalen Toten mehr. Wenn jemand stirbt, dann liegt es entweder an der Gesellschaft oder am technischen Fortschritt (Rückschritt?). Technischer Fortschritt? Deshalb gesellschaftlicher Rückschritt? Zu pauschal. An was sterben denn die meisten Leute? Krebs und Rauchen, d.h. ein gesellschaftliches Problem, Autounfall, Zugunglück, Flugzeugabsturz, Tschernobyl, technische Fehlzündungen?
Ein Dilemma einer anderen Art war der Golfkrieg. Nicht, daß ich die Invasion Kuwaits für gut heißen würde, aber vor Saddam Hussein haben schon Tausende andere Führer andere Länder erobert, viele wurden dadurch berühmt und geehrt. Eroberer waren einmal die meist geachteten Führer überhaupt. Niemand stört sich an kleinen Kriegen weltweit, erst seit dem blutigen Gemetzel in Afrika gibt es humanitäre Aktionen. Aber bei Kuwait und dem Irak war es etwas anderes. Jahrelang bekriegten sich der Iran und der Irak vorher, was niemanden wirklich störte, aber warum war es dann bei Kuwait etwas anderes? Ganz einfach. Die USA mußten einfach sofort einschreiten, da Kuwait einer der größten Öllieferanten der Welt ist. Der Irak marschierte in Kuwait ein und sofort marschierte die USA, allen voran General Schwartzkopf, in Kuwait ein, um es wieder zu befreien. Es wurde ein technischer Krieg. Hussein drohte mit Vergeltung, schickte Scud-Raketen (einst von den Russen für den Krieg gegen den Iran bekommen) auf das arme unbeteiligte Israel. Die UNO schickte Truppen, immer noch allen voran Schwartzkopf, der durch den Krieg berühmt wurde. Wer damals Präsident der Staaten war (Bush?) weiß ich nicht mehrgenau, aber Schwartzkopf bleibt Schwartzkopf, und Blaukraut bleibt Blaukraut. Gezielte Raketenangriffe, bei denen aber, so hat man später zugegeben, auch zivile Ziele „aus Versehen“ getroffen wurden.